Fünf modernistische Montagen mit dem
Eindruck, Urzeitliches wiederzubeleben
Auf dieser Seite sind Aufzeichnungen zu
hören einer Konzertprobe in Esslingen 2014
Siren Temple - Frühe Denker:
Ist moderne Musik konsumierbar?
Der denkerische Anteil ist nach meinem Eindruck enorm hoch bei dem, was wir hier
als "moderne Musik" hören. Wir stecken in einer historisch (von Dada bis
Junge Wilde, etwa 1920 bis 1990) erstmaligen Phase der Kunst, in der in einem
Umfeld weiter gekünstlert wurde, das zugleich alles in Frage stellte. Die
Infragestellung geschah so vehement, dass das Vermeiden von vorher zu Kunst
Erklärtem und Empfundenem dominierte. Es kommt ein reichlich destruktives
Weitermachen zustande außerhalb vorheriger Formenkriterien. Das macht Spaß, weil
Zerstören Spaß machen kann. Das ruft Protest hervor, weil es im Fall von "Musik"
Zuhörer quält. Vergleichbare Quälereien waren in der heftigen Moderne zugange
bei Theater, Gemälde, Skulptur, Film und in kleineren Anteilen auch als Foto.
Wer darüber hinweghört oder sieht oder denkt, wie nervig und dem Dilletantismus
im Ergebnis nahe solche modernen Werke sind, der drängt durch willkürliche
Kraftanstrengung die Meldung seiner Gefühle beiseite. Große Brocken der modernen
Kunst fühlen sich ungut an.
In "Frühe Denker" baue ich aus einem Werk "Moderner Musik" extreme, aber
noch vergnügliche Fragmente. Ich setze Titel darüber, die dem Gebrüllten und
Gestotterten Sinn und Richtung geben. Ich komponiere zwar schockierend, aber
wenigstens kompakt. "Ich" komponiere? Beim hier verwendeten Material
arrangiere ich bloß.
Aber das bloße Zuhören zu dem hier
Gezeigten würde mich imstande setzen, ohne eine Referenz zu Ligeti gleiches
Brüllen, Säuseln, Quietschen und Rumpeln zu den von mir gesetzten Titeln zu
komponieren.
Siren Temple hat mit "Trauma" 1991, veröffentlicht bei "Noiseworks Cassettes",
bereits Vergleichbares in Stimme und Instrumentierung erzeugt. Mit diesen fünf
Stücken "Frühe Denker" schließt sich da ein Bogen.
Die extreme Moderne ist im Prinzip leicht zu imitieren. Die Besonderheit der
hier genutzten Probe zu einer Ligeti-Aufführung besteht in der etwa
80-prozentigen Reproduzierbarkeit des Auftritts anhand einer Partitur. Die
Leistung von Sängern, Orchester und Dirigent ist dabei bewundernswert. Das
Klangergebnis aber hat für mich eine weitgehende Beliebigkeit und
Austauschbarkeit: Nimm anderes Gerumpel und Geschrei, und du bist modern dabei.
Ich erlaube mir hier, faul zu sein. Ich möchte nämlich nicht viel auf diese
Weise "moderne" Werke erstellen. Danke, dass eine Gruppe von Komponisten sowas
leistete (1965 waren die "Aventures" fertig). Als Konzept für einen Zyklus von
fünf "Liedern", hier im Ligeti-Arrangement mit einer Gesamtdauer von knapp 14
Minuten - im kompletten Neuwurf werden es etwa 21 Minuten sein - sehe ich in der
hier gezeigten Montage einen möglichen Bühnenbeitrag meiner Gruppe "Siren Temple".
1 Ausruf - 2´18 min
Wann begann das Denken? Wie begann es? 1000 Biologen haben
10.000 Tieren da schon 100.000 Stunden zugeschaut und darüber nachdedacht,
ob ihre Test-Tiere wohl denken: Wie weit können sie zählen (manche bis 9)?
Können sie Wege im Voraus durchdenken (Hunde nein, Affen ja)? Könnten sie
sprechen, wenn sie passende Organe hätten (500 Dreiwortsätze klappen bei
Affen, aber keine Grammatik)?
Hier sind nun fünf Musikfragmente, die eine Zeit aufdämmern lassen, in der
es eigentlich noch keine Sprache gibt - aber schon ein Geschnatter. Und
Gesten gibt es, groß wie im Stummfilm. Harmonien und Takt gibt es auch noch
nicht, aber man macht schön Lärm.
2 Wort - 2´15 min
Menschen stehen hier auf
der Bühne und drehen das Rad der Musik zurück, drehen es weg von Harmonie
und Rhythmik. Dies in der Gruppe zu schaffen, dies gemeinsam und
wiederholbar aufführen zu können, ist eine Leistung. Sie klappt nur dank
einer ausführlichen Partitur. Wirr arrangiert zu schnattern - das ist so
vertrackt, dass die Gruppe an manchen Stellen mit gutem Grund ein Buch
packt: Da steht dann drin: "grrr-lilili-uah uah!".
3 Alphabet - 2´20 min
Natürlich wurde das Rad
der Musik erst zurückgedreht, nachdem es gewaltig und wunderbar nach vorne
gerollt war: Aus der ersten Notation der Mönchschöre heraus explodierten die
Tasteninstrumente, die Bläser und die Streicher. Ihnen gesellten sich
elektrisch verstärkte Instrumente zur Seite. Und schließlich konnte aus
Computern heraus elektronisch musiziert werden. Da irgendwo wagten einzelne
Komponisten auch die Rebellion - und fanden seitlich von dem, was der Kirche
und den Geschäftsleuten gefiel, eine Art Missbrauch von
klassischen Musikern: Diese sangen nun nach zerstörerischen Partituren, und
amüsanterweise klang das Ergebnis nach Spuren aus der Zeit des
Analphabetismus der Menschheit.
4 Willen - 4´39 min
Nach "Ausruf", "Wort" und
"Alphabet" kommt nun der "Willen", bevor es zur "Richtung" weitergeht. Die
Titel wurden gefunden von Chris Mennel bei der Aufarbeitung von
Aufzeichnungen der Probe eines modernen Stückes für Musiker mit zunächst
klassischen Instrumenten. Bei den Rhythmusgeräten und bei manchem Quietsch-
und Hauch-Ton wird dann der Gerätepark aber schon erweitert. Und Chris hat
die geprobte Vorlage nochmals erweitert, indem er sie nach eigenem Konzept
ummontierte. Das war sein Willen, und er konnte ihn mit den hier gezeigten 5
Musikfragmenten stillen.
5 Richtung - 2´31 min
Nun sind wir im Gleis -
und bleiben unserer Richtung treu. Durchgehend sehr modern ist diese
Aufführung. Sie ist in der gezeigten Form noch Zitat. Doch sie wird bei
einer Live-Aufführung durch die Gruppe "Siren Temple" auf eigenständigen
Geräuschen beruhen. Die hier gequälten klassisch
ausgebildeten Musiker dürfen an anderer Stelle wieder Musik spielen, die glatt in eine
Partitur passt. Denn elektrische Instrumente und elektronische Geräte sind
spürbar praktischer für die modern-archaischen Gebilde, wie sie hier zu hören
sind. Wer seinen Weg so wie hier gezeigt fortsetzen darf, sind die Stimm-Lieferanten. Klasse
seid ihr! Weiter so!
Die Musik wurde arrangiert aus der Aufzeichnung einer Probe zu Ligetis "Aventures"
und "Nouvelles Aventures" am 12.2.2014 im Zentrum Dieselstraße, Esslingen.
Die im Film geprobten "Aventures" wurden im Zentrum Dieselstraße aufgeführt am 13. und 14.2.2014.
Es folgten zwei Aufführungen im Sommer 2014 in Saarbrücken und Stuttgart.
Mögen
vergleichbare Klänge, aufgeführt von Siren Temple, vermutlich ohne Filme
im Hintergrund, konzentriert auf die drei Sänger-Darsteller, umgeben von Musikern mit elektrischem und elektronischem Gerät, noch
vielfach zelebriert werden!